Heribert Prantl: Den Frieden gewinnen. Die Gewalt verlernen (Rezension)

Man muss sich das neue Buch von Heribert Prantl wie einen Choral vorstellen. Bereits nach zehn Seiten hat man das Gefühl, bestimmte Begriffe und Wendungen bereits zum dritten Mal gelesen zu haben: „Entfeindung“, „friedenstüchtig werden“, „Risse im Weltgefüge“, es solle endlich „Friede werden“, die „Gezeiten der Gewalt“ sollen „ein Ende haben“. Strophe, Refrain und Wiederholung. Und ja, wer sollte etwas dagegen haben? So ziemlich jeder Mensch will in Frieden leben. Das Problem ist nur, dass es Gewaltherrscher gibt, nennen wir sie „Putin“, die das partout nicht wollen. Und mit diesem einfachen Umstand wird das nette Buch von Prantl – komplett gegenstandslos. Das ist eine erstaunliche Parallele zu seinem Vorgängerbuch „Not ohne Gebot?“ (2021), in dem ausführlich so getan wurde, als ob der Staat in der Corona-Pandemie keine Gebote mehr gekannt habe. So etwas gilt als meinungsstark, verschafft Umsatz und sichert Auftritte in Talkshows. Nur: Der Wahrheitsfindung oder gar der jeweiligen Sache selbst dient es nicht.

Prantl_HFrieden_gewinnen_248044_300dpi

Denn wer muss sich denn hier „entfeinden“? Deutschland sieht Russland in ganz überwiegendem Maße nicht als einen Feind an. Man findet in Bezug auf den russischen Krieg gegen die Ukraine hierzulande keinerlei Kriegsbegeisterung, Hurra-Patriotismus oder gar rassistische Untertöne. In den Reihen jener, die Waffenlieferungen unterstützen, gibt es höchstens eine traurige Einsicht in die Notwendigkeit militärischer Unterstützung – gerade im Interesse des Friedens, der Ukraine, Europas, aber auch im Interesse der russischen Bevölkerung selbst, der doch ebenso ein Leben in Freiheit, jenseits des aktuellen Terror-Regimes, zu wünschen ist. Gerade die deutsche Politik hat – nicht zuletzt angesichts der deutschen Verbrechen im Zweiten Weltkrieg – die Hand der Freundschaft auch dann noch in Richtung Russland ausgestreckt, als längst offensichtlich war, dass das Land seit Jahren einen hybriden Krieg gegen den Westen führt.

So kann Prantl seitenlang über Bertha von Suttner („Die Waffen nieder“), Gandhi und Martin Luther King, Ernst Toller und Erich Maria Remarque referieren. Den Kern des Problems trifft er damit nicht. Carl von Ossietzky lässt sich gegen die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern nicht in den Dienst nehmen. Denn es gibt nun einmal einen Unterschied zwischen Angriff und Verteidigung. Wer beides auf eine Stufe stellt, begibt sich in das Reich der Poesie. Prantl berichtet aus dem Parlamentarischen Rat zur Erarbeitung des Grundgesetzes, als es um die Unterscheidung zwischen Krieg und Angriffskrieg ging. Diese Unterscheidung habe Carlo Schmid (SPD) für eine „propagandistische Flause“ gehalten. In seinen Memoiren stellt Schmid die Sache allerdings etwas anders dar: „Ich habe den «Ohne-mich»-Pazifismus nie geteilt. Ich bin immer der Meinung gewesen, in einer Welt, in der mit Angriffen auf Bestand und Freiheit eines Staates, auch unseres Staates, gerechnet werden muss, seien Vorkehrungen zu treffen, die es gestatten, einen Angreifer abzuwehren.“

Wie nun also? Es ist ja nicht so, dass Prantl sich seine Sache leicht macht. Er selbst sei kein Pazifist, bewundere diese Menschen aber dennoch: „Ich bewundere, wie sie es schaffen, ihre Ohnmacht auszuhalten.“ Prantl verschweigt weder Widersprüche noch Gegenargumente. In der Bibel heiße es nicht nur „Schwerter zu Pflugscharen“, sondern an anderer Stelle auch „Pflugscharen zu Schwertern“. Doch was folgt aus all dem? Es ist charakteristisch für den deutschen Diskurs, dass Prantl zwar vielen Seiten über Krieg und Frieden referiert, aber wenig bis gar nichts dazu zu sagen hat, wie ein Leben in einem durch Russland dominierten „Frieden“ für die Ukraine aussehen würde. Wie geht man aus menschenrechtsethischer Sicht damit um, dass Menschen aus voller Überzeugung ihr Leben einsetzen, um die Freiheit ihrer Liebsten zu verteidigen? Freiheit, nicht Frieden ist ihr höchster Wert.

Prantls Ausführungen kommen nicht ohne die zeitgenössische Selbstimmunisierung aus, die möglicher Kritik heute vorgeschaltet wird: Man werde gleich als „Lobbyist des Feindes“, als „Lumpenpazifist“ oder als „Putin-Versteher beschimpft, wenn man die „Glocke im Glockenturm der Verfassung“ läuten möchte, auf der das „Friedensgebot“ steht. Die Verfassung sei in dieser Hinsicht jedoch längst entkernt, die Entwicklung seit dem „Out-of-area“-Urteil des Bundesverfassungsgerichts 1994 im Grunde abschüssig. Aktueller Tiefpunkt sei das Wort von der „Kriegstüchtigkeit“, die der aktuelle Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) einfordert.

Nun muss man Prantl gar nicht mit jenen Beschimpfungen belegen, die er selbst bereits zurechtgelegt hat. Man muss aber fragen, welche Antworten er, der viele Fragen stellt, eigentlich hat. Eine Lage, die so bedrohlich ist, wie die aktuelle, und die das Schicksal Europas für viele Jahrzehnte prägen könnte, bietet sich nicht an für intellektuelle Trockenübungen. „Der Weg zur Hölle ist mit guten Vorsätzen gepflastert“ – auch dieses Bonmot beschreibt ein grausiges Zukunftsszenario, in dem Prantls Träume genau das hervorgebracht haben könnten, was sie zu verhindern suchten. „Wo endet die gute Nothilfe, wo beginnt die rechtswidrige Verlängerung und Vergrößerung der Not?“, fragt der Autor. „Wo endet Pazifismus und wo beginnt Komplizentum?“, fragt der Rezensent und schließt mit einer Passage aus Schillers „Wallenstein“:

„Eng ist die Welt, und das Gehirn ist weit,

Leicht beieinander wohnen die Gedanken,

Doch hart im Raume stoßen sich die Sachen,

Wo eines Platz nimmt, muß das andre rücken.“

4 Antworten zu „Heribert Prantl: Den Frieden gewinnen. Die Gewalt verlernen (Rezension)”.

  1. Avatar von Karl Emde
    Karl Emde

    Danke für Deine Rezension, die ich teile

    1. Avatar von Karl Adam
      Karl Adam

      Ich danke für das Feedback!

  2. Avatar von eleonoreflassig
    eleonoreflassig

    Danke, lieber Karl Adam, für diese Rezension. Ich hätte das Buch ohnehin nicht gekauft, aber Ihre klugen, logischen Gedanken sind für mich immer wieder hilfreiche Bestätigung und Bestärkung meiner persönlichen Haltung.

    1. Avatar von Karl Adam
      Karl Adam

      Ganz herzlichen Dank für die Worte, die mich sehr freuen.

Hinterlasse einen Kommentar