Günter Verheugen und Petra Erler, beides Ex-Politiker, machen ihr Geld seit einiger Zeit in Strategieberatung. Machen ja viele. Außerdem sitzt Verheugen im Kuratorium des Deutsch-Aserbaidschanischen Forums, einem dubiosen Lobby-Verein, der das Image der aserbaidschanischen Autokratie aufzupolieren trachtet. (Was ist das nur mit Ex-SPD-Politikern und ihrer Liebe zur Unfreiheit? Im Inland hinter jeder CDU-Äußerung das Ende der Demokratie wittern, aber im Ausland schlimmste Menschenrechtsverbrechen weißwaschen. Es wäre längst Zeit, diesen Umstand mal, sagen wir, kultursoziologisch aufzuarbeiten.)

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Jetzt haben die beiden ein Werk zum Ukraine-Krieg vorgelegt, dessen Lektüre man sich gut und gerne sparen kann. Alternativ kann man bei ChatGPT folgende Anfrage eingeben:

„Bitte stelle Vorgeschichte und Verlauf des Kriegs gegen die Ukraine ab 2022 so dar, dass Russland maximal gut, der Westen aber maximal schlecht wegkommt. Bitte lass dich dabei nicht durch lästige Kausalitäten oder allgemein durch Sachlogik einschränken. Lass weg, was stört, und überbetone, was in die gewünschte Lesart passt.“

Ich habe es übrigens ausprobiert und die Ähnlichkeit ist verblüffend. Warum sich also mit so etwas auseinandersetzen? Getreu dem altrömischen Grundsatz „Audiatur et altera pars“ („Man höre auch die andere Seite“) schärfe ich gerne den eigenen Standpunkt an der jeweils anderen Meinung. Und es ist da ja in letzter Zeit einiges erschienen: Klaus von Dohnanyi 2022 mit „Nationale Interessen“ für den gepflegt-großbürgerlichen NATO-Hasser; Daniela Dahn, ebenfalls 2022, mit allerlei Niedertracht gegen die Ukraine („In Krieg verlieren auch die Sieger“); Alexander Kluge schrieb auch was, aber das hat keiner verstanden („Kriegsfiebel 2023“). Nun aber schlagen Verheugen/Erler dem Fass den Boden aus. Die ChatGPT-Anfrage kann auch deshalb so gut funktionieren, weil das Buch der beiden komplett aus dem Internet gehoben wurde. So wenig Literatur war selten. Dafür ganz viele „frei zugängliche Fakten“, wie das Vorwort selbstbewusst verkündet. Die beiden wollen „zum Denken anregen“ und endlich zu einer „sachlichen Diskussion“ kommen.

Das ist in sich schon unfreiwillig komisch, wird aber noch komischer, wenn man sich durch das Vorwort gekämpft hat: Überall nur noch „blinde Leidenschaften“, Russland solle „ruiniert“ werden, es werde – natürlich vom Westen – „anhaltend militärisch eskaliert“, es gebe eine „Propagandawelle, die jeden, der diesen Krieg anhalten wollte, denunziert“, außerdem sei da eine „beängstigende Einheitsfront von Meinungsführern und Meinungsmachern in Politik, Medien und Gesellschaft, die sich „jedem Diskurs verweigert“, ja, ihn „geradezu sabotiert“. Russland solle als „ewiger Feind“ gebrandmarkt, Putin als „Teufel in Menschengestalt“ dargestellt werden. Man sage sogar – das muss man sich mal vorstellen! – er sei ein „Mörder“.

Das ist dermaßen sachlich, dass es echt zum Denken anregt.

Wann also begann jetzt „der lange Weg zum Krieg“, von dem der Titel kündet? Haben sich die beiden etwa mit der Vorgeschichte auseinandergesetzt, mit dem Verhältnis zwischen der Ukraine und Russland? Geht es etwa um Hetman Mazepa (1639-1709), den russischen Prototypen für ukrainischen „Verrat“? Geht es um Katharina die Große? Um den Krim-Krieg von 1853-1856? Kommt das Walujew-Zirkular von 1863 zum Verbot der ukrainischen Sprache vor? Oder der durch Stalin herbeigeführte Holodomor im Jahre 1932? Kommt allgemein irgendwas zum russischen Imperialismus?

Gemach!

Die Ukraine ist hier völlig egal, hat dieser Krieg doch „alle Züge eines Stellvertreterkrieges“. Es geht bei der Vorgeschichte natürlich ausschließlich um angebliche Verfehlungen des Westens, oder seines Hegemons, den USA.

Und das geht dann so: Russland hat zwar angegriffen, was die beiden auch echt voll verurteilen, aber schließlich führen die USA auch Kriege. Außerdem haben die Russen mit voll wenig Truppen angegriffen, mithin gar keine echte Eroberungsabsicht gehabt. Das Heer wurde erst vergrößert, als der Westen eskaliert hat. Frieden hätte es im Frühjahr 2022 längst geben können, aber der Westen hat’s verboten (das sei „unbestreitbar“). Es geht nämlich gar nicht um die Ukraine. Der „Konflikt“ wird nur deshalb so „dramatisch überhöht“, weil das „US-Imperium“ erhalten werden soll. Und auch die Kriegsbeschreibung an sich sei ja schon nicht korrekt. Russland kämpfe nicht gegen „die“ Ukraine: „An der Seite Russlands kämpfen Ukrainer, die Krim und der Donbass gegen die Kiewer Zentralregierung.“ Und überhaupt: „Russland ist auch nicht angetreten, die Ukraine zu vernichten. Russland versucht, mit militärischen Mitteln seine Sicherheitsinteressen durchzusetzen.“

Ein solches Betteln um die beliebte Auszeichnung „Bahr der Woche“, mit der im Podcast „Ostausschuss“ regelmäßig Osteuropaignoranz „prämiert“ wird, ist ja fast schon peinlich.

Fazit des Rezensenten: „Die andere Seite“ wurde gehört, gewogen und eindeutig für zu leicht befunden.

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