Klimawandel und Pandemien als Gründe für das Ende Roms? Das klingt verdächtig aktuell. Ist es auch plausibel?

Der Frage nach den Gründen für den Untergang des Römischen Imperiums erhitzt noch heute die Gemüter. Kein Megatrend der Gegenwart, der nicht mit „Rom“ abgeglichen werden könnte. Ob Fehlanreize des Sozialstaats, die Ex-FDP-Chef Guido Westerwelle einst zur Rede von „spätrömischer Dekadenz“ bewegten, oder die Flüchtlingskrise 2015-2016, die den Althistoriker Alexander Demandt Parallelen zu den Völkerwanderungen der Spätantike sehen ließ – das Ende der Antike, so scheint es, geht immer. Demandt hat erstmals 1984 unter dem Titel „Der Fall Roms“ eine Sammlung von nicht weniger als 210 Thesen für den Untergang des Weltreichs vorgelegt, die meist sehr viel über die Gegenwart ihrer jeweiligen Urheber und eher weniger über das tatsächliche Geschehen in der Spätantike verrieten.

Wenn jetzt also der US-amerikanische Althistoriker Kyle Harper mit einem Buch ins Rennen geht, das die große Frage mit Klimawandel und Pandemien zu erklären versucht – neben Migration ausgerechnet die beiden anderen Megathemen der Gegenwart–, dann riecht das verdächtig nach Trend. Doch die Entwarnung folgt sogleich: Als Fatum 2017 im amerikanischen Original erschien, war von Greta und Corona noch keine Rede. „Das Tempo, in dem unser Wissen zunimmt, ist erfreulich und zugleich beängstigend. Während die Tinte auf diesen Seiten trocknet, ist die Forschung bereits etliche Schritte weiter.“ Die Forschung, möchte man hinzufügen, und auch das Weltgeschehen: Während der C. H. Beck-Verlag im Untertitel für die deutsche Ausgabe ganz auf das Klimathema gesetzt hat, wäre das Original in diesen Tagen sicher noch spannender gewesen: Climate, Disease and the End of an Empire.

Worum geht es in diesem – so viel sei jetzt schon gesagt – meisterhaft komponierten, brillant erzählten und eindrücklich illustrierten Werk? Schlicht und einfach: Es geht um die Natur. Sie rückt aus ihrer Rolle als unveränderliche Hintergrundkulisse zum zentralen Akteur auf. „Die Erde war und ist eine schwankende Plattform menschlichen Tuns, so instabil wie ein Schiffsdeck in einem Sturm. Ihre physikalischen und biologischen Systeme sind ein sich ständig wandelnder Schauplatz und haben (…) für eine «stürmische Reise» gesorgt, seit es uns Menschen gibt.“

Naturwissenschaftliche Erklärungsansätze gab es zwar bereits in der erwähnten Untergangsgründe-Sammlung von Demandt. Sie gehen nicht zuletzt auf antike Quellen zurück: Es gab die Idee einer organisch alternden Welt bei Lukrez, Columella sprach von Bodenerschöpfung, Cyprian konstatierte ein „allmähliches Versiegen aller Naturkräfte einschließlich der Energien der Menschheit“, bei Commodian hieß es, der Regen ließe nach, der Boden werde steril, Seuchen breiteten sich aus. Doch durch die Hinzuziehung „natürlicher“ Archive kann jetzt erst wirklich ergründet werden, was es damit auf sich hatte: Eisbohrkerne, Höhlen-Versinterungen, Ablagerungen in Seen sowie Meeressedimente, Jahresringe und Gletscher, die Isotopenchemie von Knochen und nicht zuletzt das organische Archiv der DNA – all diese Methoden und Zeugnisse geben Aufschluss über Leben und Sterben in der Antike und damit auch über Gründe für den Niedergang Roms.

getimage

Was das Klima angeht, so Harper, hatten die Römer zunächst „Glück“. Der Aufstieg des Imperiums fällt mit einer Phase zusammen, die Roman Climate Optimum (RCO) genannt wird, einer Warmphase mit feuchtem und beständigem Klima. Die Jahre von ca. 200 v. Chr. bis 150 n. Chr., die Hochzeit des Imperiums also, begünstigte jenes Optimum, bis dann ab ca. 150 bis 450 eine Übergangsphase eintrat: Starke Unbeständigkeit des Klimas, ausbleibender Regen sowie wiederholte extreme Kälteeinbrüche belasteten die „Kraftreserven des Imperiums“ und beeinflussten „den Lauf der Ereignisse auf dramatische Weise“. Ab 450 kann von einer spätantiken Kleinen Eiszeit gesprochen werden: Heftige vulkanische Aktivitäten, geringere Sonneneinstrahlung und Kälteeinbrüche führten zu „einer bis dahin beispiellosen biologischen Katastrophe“ und zur Zerstörung dessen, „was vom römischen Staat noch übrig war“.

Und das war „nur“ das Klima! Hinzu kamen gleich drei Pandemien, die das Imperium heimsuchten: Im Jahr 165 n. Chr. brach die sogenannte Antoninische Pest aus, vermutlich durch Pocken verursacht. Diese erste Pandemie der Weltgeschichte, die durch das gut ausgebaute Wegenetz im Imperium überhaupt erst möglich wurde, führte zum einem 24-jährigen Massensterben und zu einer großflächigen Entvölkerung. Über die zweite große Pandemie, die sogenannte Cyprianische Pest, ist weniger bekannt. Vermutlich handelte es sich ebenfalls um Pocken, die das Reich zwischen den Jahren 250 und 271 verheerten. 541 kam dann die erste große Pandemie von Yersinia Pestis, dem Erreger der Beulenpest, und hielt sich über zweihundert Jahre. Mit dieser in ihren Ausmaßen nie dagewesenen Katastrophe wurden wahlweise das Scheitern der Restauratio imperii Kaiser Justinians, das Ende der Antike allgemein oder eine Begünstigung der Arabischen Expansion in Zusammenhang gebracht.

Nimmt man all dies zusammen, relativieren sich herkömmliche Narrative, die sich an den Charakteren einzelnen „guter“ oder „schlechter“ Kaiser orientieren. Gegen die geballte Macht der Natur konnte kein noch so effektives Verwaltungssystem auf Dauer bestehen, zumal in einer agrarisch geprägten Gesellschaft mit mangelndem medizinischem Wissen.

Leben und Sterben in dieser Gesellschaft belegt Harper mit allerlei Anschauungsmaterial. Er erzählt, analysiert, ordnet ein. Gelegentlich wirken Zuspitzungen in noch einmal anderen Worten redundant, dienen andererseits der Festigung der teils komplexen Materie, die zwischen Geistes- und Naturwissenschaft changiert. Das Ergebnis ist so unmittelbar überzeugend, dass man sich fragt, warum dem Offensichtlichen so lange der gebührende Stellenwert verwehrt wurde: Die Natur war vielleicht nicht der, aber auf jeden Fall ein ganz wesentlicher Faktor für das Ende der Antike.

Bei den doch frappierenden Parallelen zur Gegenwart möchte man der unsrigen Zivilisation mehr Problemlösungskompetenz, mehr Resilienz wünschen, als die Römer mit ihren Mitteln zu mobilisieren vermochten. Als Zeichen an der Wand steht uns ihr Schicksal warnend vor Augen.

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